In der Silvesternacht 2019/20 ist das Affenhaus des Krefelder Zoos niedergebrannt. Dabei starben über 50 Tiere, darunter ein Schimpanse, zwei Gorillas und fünf Orang-Utans. Nur zwei Menschenaffen überlebten die Brandnacht. Schon kurz nach der Katastrophe gab der Zoo bekannt, ein neues Tierhaus bauen und dort erneut bis zu 40 Menschenaffen ausstellen zu wollen. Dafür soll ein zweistelliger Millionenbetrag investiert werden. Aus Sicht der unterzeichnenden Verbände wäre die Weiterführung der Haltung von Menschenaffen im Sinne des Tier- und Artenschutzes eine gravierende Fehlentscheidung.
Menschenaffen sind unsere nächsten Verwandten im Tierreich. Sie sind hoch soziale Individuen mit ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten, einem Ich-Bewusstsein und entsprechender Leidensfähigkeit.
Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass Menschenaffen trotz intensiver Bemühungen in Gefangenschaft Verhaltensstörungen entwickeln, die psychischen Erkrankungen bei Menschen gleichen. So wurden bei einer großangelegten Beobachtung der Großen Menschenaffen in deutschen Zoos bei jedem zweiten Tier augenfällige Symptome zoochotischer Störungen, wie Bewegungsstereotypien, Agitiertheiten, Essstörungen, Hyperaggressivität, Selbstmutilation, Angststörungen oder Apathie dokumentiert1.
Auch mehrere Studien in nordamerikanischen Zoos belegen, dass abnormale Verhaltensweisen, wie die Wiederaufnahme des eigenen Erbrochenen oder Kots, in Gefangenschaft allgegenwärtig sind und bei der Mehrheit der Gorillas (56 %)2 und Schimpansen (64 %)3 auftreten. Laut einer wissenschaftlichen Studie, die das Verhalten von Schimpansen in sechs akkreditierten zoologischen Einrichtungen in Großbritannien und den USA untersuchte, zeigten sogar alle 40 Individuen mindestens eine Form von abnormalem Verhalten, und das trotz Verhaltensanreicherung. Dies deutet darauf hin, dass die Gefangenschaftssituation an sich und nicht die jeweiligen Haltungsbedingungen dafür ausschlaggebend sind4.
Der renommierte Primatologe Professor Dr. Volker Sommer geht davon aus, dass Menschenaffen eine Vorstellung von Zukunft haben und in Zoos aufgrund der Ausweglosigkeit ihrer Situation, ähnlich wie wir Menschen, verzweifeln5.
Zwar sind in den letzten Jahren die Haltungsvorgaben für Große Menschenaffen in Deutschland grundlegend überarbeitet worden, sie werden den Bedürfnissen der Tiere aber weiterhin kaum gerecht. So gestaltet sich beispielsweise die Berücksichtigung der komplexen Sozialstruktur schwierig: Bei Schimpansen, die naturgemäß in flexiblen, größeren Gruppen („fission-and-fusion“-Gemeinschaften) leben, wäre somit eine veränderliche Gruppenzusammensetzung erforderlich, was in Gefangenschaft kaum ermöglicht werden kann. Orang-Utans hingegen werden häufig entgegen ihrer vorwiegend einzelgängerischen Lebensweise in zoologischen Einrichtungen in größeren Gruppen präsentiert.
Einige besonders prekäre Menschenaffenhaltungen wurden in Deutschland in den vergangenen Jahren bereits aufgelöst, für weitere sind aktuell Umbauten in Planung. Doch auch bauliche Änderungen, wie vergrößerte Gehege, können die systembedingt mangelhafte Haltung und das damit einhergehende Tierleid nicht auflösen.
Der Bau einer neuen Menschenaffenhaltung in Krefeld entspricht somit nicht dem Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und des aktuellen ethischen Diskurses: Laut einer aktuellen, repräsentativen Meinungsumfrage befürwortet mit 41 Prozent die relative Mehrheit der Befragten ein Ende der Zucht und Haltung von Menschenaffen in deutschen Zoos6. Im Schweizer Kanton Basel soll in Kürze über eine Volksinitiative entschieden werden, die Grundrechte für Primaten fordert7.
Das Argument, die Zucht und Haltung würde dem Artenschutz dienen, ist obsolet, da es keine Auswilderungsprojekte für Große Menschenaffen aus europäischen Zoos gibt. Ein Überleben dieser Tiere in freier Natur gilt als unwahrscheinlich, da sie die elementaren Verhaltensweisen nicht erlernen. Hinzu kommt, dass in ihren Heimatländern bereits mehrere hundert rehabilitierte Menschenaffen in Auffangstationen auf Wiederauswilderung warten – beispielsweise allein etwa 300 Orang-Utans auf Borneo8. Mit den finanziellen Mitteln, die hierzulande für die Zucht und Haltung von Menschenaffen eingesetzt werden, könnten im natürlichen Lebensraum große Flächen über viele Jahre geschützt werden und so wesentlich besser zum Arterhalt beitragen.
Die unterzeichnenden Tier- und Artenschutzverbände lehnen daher den Bau einer neuen Menschenaffenhaltung im Krefelder Zoo als tierschutzwidrig und nicht zeitgemäß entschieden ab.
Unterzeichner:
Laura Zodrow, Vorsitzende, animal public e.V.
Karsten Plücker, Vorsitzender, Bund gegen Missbrauch der Tiere (bmt) e.V.
Dr. Jörg Styrie, Geschäftsführer, Bundesverband Tierschutz (BVT) e.V
Linda Gregori, Stellvertretende Vorsitzende, Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e. V.
Undine Kurth, Vizepräsidentin, Deutscher Naturschutzring e.V.
Michael Beier, Vorsitzender des Vorstandes, Heinz Sielmann Stiftung
Christina Ledermann, Vorsitzende, Menschen für Tierrechte - Bundesverband der
Tierversuchsgegner e.V. Harald Ullmann, 2. Vorsitzender, PETA Deutschland e.V.
Dr. Cristeta Brause, Referentin Tierschutz Inland, Tasso e.V.
1 Goldner, C. (2014): Lebenslänglich hinter Gittern, (S.216), Aschaffenburg
2 Akers, Jean & Schildkraut, Deborah. (1985). Regurgitation/Reingestion and coprophagy in captive gorillas. Zoo Biology - ZOO BIOL. 4. 99-109. 10.1002/zoo.1430040203.
3 Jacobson SL, Ross SR, Bloomsmith MA (2016). Characterizing abnormal behavior in a large population of zoo-housed chimpanzees: prevalence and potential influencing factors. PeerJ 4:e2225 https://doi.org/10.7717/peerj.2225
4 Birkett LP, Newton-Fisher NE (2011): How Abnormal Is the Behaviour of Captive, Zoo-Living Chimpanzees? PLoS ONE 6(6): e20101. doi:10.1371/journal.pone.0020101
5 Goldner, C. (2014): Lebenslänglich hinter Gittern, (S.218), Aschaffenburg
6 https://www.peta.de/wp-content/uploads/2020/12/INSA-Umfrage-Menschenaffen-04-2020.pdf
7 https://www.derstandard.de/story/2000120062758/schweizer-kanton-basel-darf-ueber-grundrechte-fuer-primaten-abstimmen
8 https://www.tagesschau.de/ausland/orang-utan-coronavirus-101.html